Werte Mitdonaldisten, ein 'unschönes' Thema: wie stand Erika Fuchs politisch zum Nazi-System ? Gibt es dazu eurerseits irgendwelche wissenschaftlich belegten Positionierungen ? Schließlich wuchs sie ja in dieser braunen Umgebung auf ? - Immerhin gelangte sie in ihrer Jugend wohl offensichtlich in die Nähe der 'Sprache des Feindes', Englisch / auch noch amerikanisches Englisch; das finde ich bemerkenswert ! Andererseits deutet kaum etwas in ihrem Übersetzungswerk darauf hin, besondere Sympathien zur Nazidiktatur entwickelt zu haben (wenn man mal von einigen sprachlichen Spezifika absieht). - Kann jemand von Euch dazu etwas (möglichst wissenschaftlich Belegbares...!) beitragen ?
Erika Fuchs und der Nationalsozialismus
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Coolwater
@coolwater
Das Bohnbuch ist zu der Frage wenig ergiebig. Da geht's für die Zeit nach dreiunddreißig vor allem darum, daß jetzt das Hausfrauenleben in Schwarzenbach losgeht. Zu den "Zeitumständen" führt Bohn jedoch zwei Fuchsäußerungen aus späterer Zeit an, die eher auf ein Abstandhalten zu den Machthabern hindeuten.
Im ersten geht's drum, daß ihr damals eine Laufbahn als Übersetzerin kaum möglich gewesen sei und man ausländisches Schrifttum in den Ursprungssprachen habe lesen müssen, da der Übersetzungen nur wenige gewesen seien:
"Es war damals nicht möglich, beruflich zu übersetzen, glaube ich jedenfalls. Erstens hätte man in die Reichsschrifttumskammer eintreten müssen, und wenn ich mich richtig erinnere, wurden gar keine ausländischen Bücher übersetzt. Man war ja doch der Auffassung, daß eigentlich alle anderen Länder ziemlich dekadent sind. Ich erinnere mich nur an das Buch Vom Winde verweht, das wurde übersetzt … aber das war ja auch ein Kriegsroman."
Schließlich wuchs sie ja in dieser braunen Umgebung auf ?
Man muß dazu sagen: Am 30. Januar 1933 war Erika Fuchs 26 Jahre alt. Was man landläufig als die Zeit des "Aufwachsens" versteht, lag bei ihr da schon ein gutes Stückchen zurück …
"Ihre", Fuchsens – richtiger: Petris –, "ihre" Zeit also waren die zwanziger Jahre. Sie kostete sie zur Neige: kurze Röcke, kurze Haare, Hosen (für die Petri alles bei Bohn "belegt"); englische und französische Schriftsteller, Studienaufenthalte in Lausanne, London und Florenz; weiter Reisen nach Holland, England, in die Schweiz, nach Italien.
Das in der angeführten Fuchsäußerung vermittelte Stimmungsbild, daß ihr nach dreiunddreißig die Zeit nicht "weltläufig" genug war, noch dazu in dem Nest Schwarzenbach (eine Ehebedingung war, daß sie regelmäßig Reisen in die "Weltstadt" Berlin unternehmen durfte), scheint mir verläßlich.
Dann die zweite Fuchsäußerung bei Bohn:
"Je älter ich werde, desto jämmerlicher kommt es mir vor, wie wenig man sich damals gewehrt hat. Also, man war ja froh, wenn man zufriedengelassen wurde. Ich habe sehr viel gewußt, sehr viel erfahren, ganz persönlich, weil ich also Leute kannte, die im Widerstand waren … Daß man nichts gewußt hat, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil das ja in den Reden gesagt wurde. Ganz offen: 'müssen ausgerottet werden'. Als der Krieg zu Ende war, war keiner in der Partei gewesen, und keiner hatte was gewußt."
Das sind nun Überlegungen, die Fuchs ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang des Dritten Reiches anstellt; es läßt sich daraus eher weniger entnehmen, wie Fuchs in der Zeit selbst die Dinge tatsächlich sah. Man beachte auch die unpersönliche, Abstand schaffende "man"-Form in diesen Rückschau-Betrachtungen.
Aus der spärlichen mir bekannten Überlieferung ist mein Eindruck, daß die Fuchs eher "unpolitisch" war. Nehmen wir mal an, es gibt haufenweise noch nicht gehobene Briefe oder Tagebucheinträge Fuchsens aus den dreißiger oder vierziger Jahren, würde es mich gar nicht wundern, wenn es darin fast nur um den Alltag, das Leben, Streben, Weben und natürlich die Literatur und Kultur geht, aber sich "große" Betrachtungen zur Politik und zum Gang der Ereignisse in Deutschland und in der Welt wenig bis gar nicht finden.
Ich schätze, Fuchs befand sich – wie die meisten – im breiten Graubereich zwischen "glühender Nationalsozialist" und "Widerstandskämpfer". "Mitläuferin" (?). Es ist aber sicherlich auch nicht allzu verwegen, sich vorzustellen, daß sie 1942 oder 1943 die Dinge möglicherweise etwas anders sah als 1935 oder 1937.
Vielleicht hockt ja das Fräulein Tuschel auf mehr Quellen zu diesem Fragengeflecht.
06.01.2025, 22:18:00 (bearbeitet)
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Direpol
@direpol
Diese Frage war das große Thema der Fuchs-Forschung unseres verstorbenen Ehrenmitglieds Hans-Dieter Heilmann. Er knüpfte an die zitierte Äußerung gegenüber Bohn zur Bekanntschaft mit Widerstandsleuten an und hat durch briefliche und telefonische Befragung von Frau Fuchs sowie durch Quellenstudien, unter anderem in seiner direkten Berliner Nachbarschaft, einiges herausgefunden. Ich habe zu Heilmanns Perspektive auf den ganzen Komplex in meinem Vortrag in St. Pölten einige Hinweise gegeben. Sehr viel mehr demnächst (ahem) in der von Frl. Tuschel unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen vorbereiteten Edition der Briefe und Abschriften.
09.01.2025, 21:29:30
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Coolwater
@coolwater
In dem 2010 erschienenen Buch Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich von Christian Adam finden sich einige Angaben zur Zahl der Übersetzungen auf dem Buchmarkt nach 1933:
"Eine Hochzeit der Übersetzungsliteratur waren die letzten beiden reinen Friedensjahre 1937/1938. […] Jährlich erschienen damals über 500 Werke, die aus anderen Sprachen übersetzt waren. Insgesamt bewegte sich der Anteil der übersetzten Werke an der Gesamtzahl der neu erschienenen fiktionalen Literatur in jenen zwölf Jahren in Deutschland zwischen 4 und 12 Prozent. 2008 haben die deutschen Verlage über 7340 Bücher aus anderen Sprachen übersetzt, 8,8 % sämtlicher Erstauflagen in diesem Zeitraum waren Übersetzungen. […]"
"Etwa fällt die Zahl der aus dem Englischen und Amerikanischen übersetzten Titel vom Höchststand mit rund 250 Werken im Jahr 1938 mit Kriegsbeginn schlagartig ab. […] Zwar dominierten die vollen zwölf Jahre gerechnet dennoch die Übersetzungen aus dem Englischen (1378 Titel + 173 Titel aus den USA) […]."
"Zudem versuchten die Schrifttumslenker mit publizistischen Mitteln der – aus ihrer Sicht – Flut von Übersetzungsliteratur gegenzusteuern. In den einschlägigen Postillen wurde gegen angloamerikanische Romane gewettert – mit mäßigem Erfolg –, denn sie waren beim Publikum beliebt."
Wenn die Fuchs sagt, es seien im Dritten Reich keine oder fast keine aus anderen Sprachen übersetzten Bücher erschienen, hatte sie es entweder damals schon falsch wahrgenommen oder später in der Rückschau. Den Löwenanteil der übersetzten Bücher machte wahrscheinlich genau wie heute einfache Unterhaltungsliteratur ohne bleibenden Wert aus.
Wie ich's verstehe, decken die Angaben bei Adam nur fiktionale Literatur auf dem Buchmarkt ab. Daneben gibt es für Übersetzer ja noch weitere Tätigkeitsfelder (Sachbücher, Groschenhefte, Zeitungen, Zeitschriften, Unternehmen, Behörden und mehr).
Es mag sein, daß die behauptete Pflichtmitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer für Fuchs tatsächlich ein Grund war, nicht beruflich als Übersetzerin tätig zu werden. Bei Fuchs kommt aber ein entscheidender Punkt hinzu: Aus wohlhabendem Hause stammend und einen Mann geheiratet, der auch nicht grad Diogenes in der Tonne war, hatte sie es nicht nötig, Bücher oder was auch immer zu übersetzen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Hätte sie dagegen ohne Berufstätigkeit ein Armutsdasein fristen müssen, wäre der Zwangseintritt in die Reichsschrifttumskammer vielleicht kein so großer Hinderungsgrund gewesen.
04.02.2025, 06:07:41 (bearbeitet)
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Duckburghresident
@duckburghresident
https://www.ardmediathek.de/tv-programm/67868cd576083b841b097543 Hier in Kummersdorf habe ich mit den Berlinerrn Weihnachten gefeiert. Gruselig.
07.02.2025, 23:03:15 (bearbeitet)
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Theodora Tuschel
@theodora_tuschel
Sehr interessant! Ich wünschte, die Fuchs-Heilmann-Korrespondenz könnte endlich erscheinen. Da steht einiges drin zu Kummersdorf und der Waffenentwicklung in der NS-Zeit. Es gibt ja Bezüge dazu, insbesondere durch Erika Fuchs' Ehemann Günter. Nichts Sensationelles oder bislang Verschwiegenes, das Erika-Fuchs-Haus macht das ja auch zum Thema. Randbemerkung: Hätten die Nazis uns Donaldisten gefragt, hätten wir ihnen sagen können, dass ein Riesenpanzer namens "Maus" niemals erfolgreich sein wird.
08.02.2025, 13:38:30
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