Aus dem "Screaming Cowboy" macht Erika Fuchs 1952 den "Rührseligen Cowboy". Man lese dazu Friedrich Sieburg 1953 in der Zeitschrift "Die Gegenwart" über Heine und die Folgen: "Die Verlogenheit der Eisen- und Stahlepoche festigte und autorisierte sich an dem falschen Ton, den Heine, der geniale Nachahmer der Romantiker und des Volksliedes, in die Gefühlsdichtung eingeführt hatte. <…> Die lyrische Entfesselung eines zu den höchsten Gipfeln des Materialismus aufsteigenden Bürgertums, das seine Rührseligkeit für Poesie hielt, war sichergestellt." Bei Frau Fuchs ist Donald Duck ein solcher gipfelstürmender Aufsteiger, auf den kraft poetischer Gerechtigkeit eine Lawine niedergeht. Er hält seine Rührseligkeit für Poesie und ist sich seiner Sache so sicher, dass er sie selbst rührselig nennt - im Titel des Gedichts. Die kritische Vokabel wird romantisch eingeschmolzen.
Sprachvergleich

Beppo
@beppo
Ob der kleine Herr Duck ein großer Komponist und Texter war, sei einmal dahingestellt. Aber niemand ist eine Insel. Vielleicht wurde er ja von diesem Lied https://www.youtube.com/watch?v=mtfTgnvG1yA ein wenig inspiriert. Sein literarischer Agent für die USA, der Herr Barks, lässt seine Übersetzung des Rührseligen Cowboys jedenfalls auch mit "bury me" anfangen. "The Dying Cowboy" geht auf das Gedicht "Burial at Sea" eines gewissen Edward Hubbell Chapin, eines jüngeren Zeitgenossen von Heinrich Heine, zurück, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts poetisch wurde. "Burial at Sea" habe ich im Netz nicht gefunden, aber "The Dying Cowboy" geht so: Oh bury me not on the lone prairie These words came low and mournfully From the pouted lips of a youth who lay On his dying bed at the close of day Oh bury me not on the lone prairie Where the coyote howls and the wind blows free In a narrow grave just six by three Bury me not on the lone prairie It matters not I've oft been told Where the body lies when the heart grows cold Yet grant oh grant this wish to me Bury me not on the lone prairie Oh bury me not on the lone prairie Where the coyote howls and the wind blows free In a narrow grave just six by three Oh bury me not on the lone prairie He wailed in pain and o'er his brow Death's shadows fast were gathering now He thought of his friends and his home but nigh As the cowboys gathered to see him die Oh bury me not on the lone prairie These words came low and mournfully From the pouted lips of a youth who lay On his dying bed at the close of day We took no heed of his dying prayer In a narrow grave we buried him there In a narrow grave just six by three We buried him there on the lone prairie Oh bury me not on the lone prairie Where the coyote howls and the wind blows free In a narrow grave just six by three Oh bury me not on the lone prairie
23.08.2015, 18:31:39

Theodora Tuschel
@theodora_tuschel
Interessant! Die dänische Übersetzerin Sonja Rindom Hilker machte aus dem "Screaming Cowboy", der maritimen Umgebung ihres Heimatlandes angemessen, "Den Hulkende Sømand" (Der schluchzende Seemann). Auch sie veränderte den Barks-Text des Schlagers komplett: "Oh, skænk mig en grav/ ved det isgrønne hav/ hvor kun bølgerne hører min gråd!“ (Oh, schenkt mir ein Grab/ an dem eisgrünen Meer/ wo nur die Wellen mein Klagen hören!) - Schön. Herrlich gruselig schön. Aber was ist nun eigentlich kanonisch? Wenn man die These ernst nimmt, Barks und Fuchs seien Medien, die über reale Vorgänge in Entenhausen berichten, dann hat Donald "Und lieg' ich dereinst auf der Bahre" gesungen und nicht "Oh, skænk mig en grav", und auch nicht "Oh, bury me thar with my battered git-tar". Auf dem Schwarzen Brett lesen wir derzeit täglich von Fuchs'schen Textvarianten. Wieso kann es Textvarianten geben, wenn Erika Fuchs ein Medium war, das überliefert hat, was in Entenhausen gesprochen wurde? Deuten diese Textvarianten nicht darauf hin, dass Erika Fuchs gar kein Medium war, sondern eine ganz normale Übersetzerin, die versuchte, einen fremdsprachigen Text möglichst gut, genau, situationsangepasst und lesbar in die eigene Sprache zu übertragen? Und wenn das so wäre, dann war Barks vielleicht auch kein Medium, sondern ein Zeichner und Geschichtenerzähler, der einfach besser war als andere? Bevor ich jetzt exdonaldisiert werde, möchte ich im letzten Atemzug noch sagen, dass ich das natürlich nicht glaube. Aber klammheimliche Fragen stellen sich ein. Vielleicht kann der sibirische Vogel etwas dazu sagen, der beschäftigt sich ja auch mit Textüberlieferungen in vielfacher Übersetzung. Sorry, hochgeschätzter direpol, meine Einlassung geht in eine andere Richtung. Aber sie hat immerhin etwas mit deinem Beitrag zu tun.
23.08.2015, 18:39:26

Anonym
@~anonym~
Auch bei medialen übertragungen gibt's halt ab + an übertragungsfehler. ff
23.08.2015, 21:44:05

Beppo
@beppo
> Wieso kann es Textvarianten geben, wenn Erika Fuchs ein Medium war, das überliefert hat, was in Entenhausen gesprochen wurde? Nach vielen Lustra des Nachdenkens vertrete ich folgende Position. Das Anaversum existiert. In der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, wo auch immer. Dort spricht man weder Englisch noch Deutsch. Man kommuniziert halt irgendwie. Ob das mit Worten wie bei Shakespeare, mit Lichtsignalen wie bei den Glühwürmchen, mit Pheromonen wie bei den Borkenkäfern oder mit Semaphoren wie bei der Kriegsmarine geschieht, ist erst einmal völlig egal. Die Sprache Entenhausens ist uns so fremd wie mindestens das Chinesische. Medien wie Barks und Fuchs haben Zugang zu Informationen aus dem Anaversum. Dabei gilt aber eine Art Unschärferelation wie in der Quantenmechanik. Erst durch die Wiederholung des Messprozesses entsteht ein statistisch korrektes Bild. Barks hat als erster aus dem Anaversum berichtet. Fuchs hat dann diese Berichte noch einmal angeschaut und gegebenenfalls unter Verwendung von zusätzlichen Informationen korrigiert. In manchen Fällen hatte sie sogar die Gelegenheit, sich noch einmal mit einem Bericht zu beschäftigen und ihn noch weiter zu verbessern. Andere Berichte hat sie ein zweites Mal übertragen, ohne dass sie noch von der ersten Übertragung wusste. Auch Barks hat manchmal ein Ereignis doppelt geschildert. Man schaue sich zum Beispiel die Zähmung des Fohlens (WDC 59) beziehungsweise des kleinen Kojoten (WDC 219) an. Das fragliche Tier war vielleicht weder ein Pferd noch ein Kojote, sondern eine ähnliche anatidische Kreatur. Namen sind Schall und Rauch. Der Bauer Brösel/Rössel aus WDC 156, bei Barks Cornsilk, hat im Anaversum möglicherweise gar keinen Namen, der aus Schallwellen besteht. In Wirklichkeit heißt er vielleicht in einer Farbensprache "absinthgrün-magenta-veilchenblau" oder sein Name ist für uns noch viel unverständlicher. Erika Fuchs nennt ihn nur deshalb Brösel, weil das bei uns die richtigen Assoziationen hervorruft. Der rührselige Cowboy ist vielleicht in Wirklichkeit ein Griffingirl und Erika Fuchs spricht nur deshalb von einer Guitarre statt von einer Gitarre (MM 8/55), weil uns das Lied an die unendlichen Weiten des lateinamerikanahen Arizona erinnern soll. Erika Fuchs berichtet die Wahrheit. So wie der LHC die Wahrheit über das Higgs-Teilchen berichtet. Man muss diese Wahrheit nur verstehen.
24.08.2015, 07:07:28

Fährmann
@faehrmann
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass ab und an der Zeitgeist seine Finger im Spiel hat, wenn beispielsweise aus der Wehrmachtshelferin eine Kantinenwirtin wird. Ahoi!
24.08.2015, 16:23:06

Theodora Tuschel
@theodora_tuschel
Danke, Beppo, dein Ansatz ist hilfreich. In meine philologische Denkweise übersetzt, hieße das, Erika Fuchs ist in erster Linie eine Übersetzerin und erst in zweiter Linie ein "Medium". Sie übersetzt aus einer Sprache, die der unseren vermutlich sehr fern ist, aber sie hat, anders als jemand, der sich diese fremde Sprache nur theoretisch angeeignet hat, auch einen unmittelbaren Einblick in die Kultur der Sprecher. Eine Kultur, die unserer teils nah, teils fremd ist, wie wir wissen. Um das, was sie aus Entenhausen erfährt, ins Deutsche (oder wie Sonja Rindom Hilker ins Dänische) zu übertragen, braucht es vor allem kritische Erkenntnis - die durchaus revidiert werden kann, deshalb die Übersetzungsvarianten! Im letzten Schritt zur konkreten Formulierung in der Zielsprache braucht es dann große gedankliche Freiheit und ein kreatives sprachliches Potential. Und Ausprobieren. Deshalb kann die zweite Variante auch mal schlechter sein als die erste. Das ist beruhigend für Donaldisten, denn das heißt, es gibt keine endgültige Textfassung. Erika Fuchs oder Sonja Rindom Hilker und sogar Carl Barks haben nicht wortwörtlich überliefert, was in Entenhausen gesprochen worden ist, sondern sie geben uns eine Idee davon. "The Screaming Cowboy", "Der rührselige Cowboy" und "Den Hulkende Sømand" (Der schluchzende Seemann) vermitteln den Lesern die gleiche Idee von Donalds Schlager. Einschließlich der Tatsache, dass Donald selbst seine Dichtung ohne jede romantische Ironie für poetisch hält.
25.08.2015, 19:29:29

Anonym
@~anonym~
Unterschiedliche Sprachen spielen doch nur beim Sprechen eine Rolle, abgesehen davon, daß ein jeder gemeinhin in einer ihm bekannten Sprache denkt. Ich glaube kaum, daß EF mit der anaversen Population auch nur ein Wort gewechselt hat. M. E. hat sie - inspiriert von CB - die anaversen Phaenomenologeme völlig sprachfrei empfangen und in Textform umgesetzt, praktischerweise in dem in unseren Breiten gebräuchlichen Idiom. Unterschiedliche Formulierungen verschiedener Ausgaben spielen nur eine untergeordnete Rolle, wenn die Inhalte qualitativ die selben geblieben sind. Für Mutationen von Wehrmachtshelferinnen zu Kantinenwirtinnen ist in erster Linie die Schere im Kopf bei Ehapa zuständig, deren Schärfe ist allerdings auch zeitgeistabhängig. Vielleicht hat aber in diesem speziellen Fall EF einen peinlichen Irrtum (Übertragungsfehler oder sprachliche Gewohnheiten der 50er Jahre? Man weiß es nicht.) nachträglich bewußt korrigiert. Eine spezifische Sorte Militär wie die Wehrmacht hat in Entenhausen keinen Platz. ff
26.08.2015, 07:38:58

Beppo
@beppo
> Erika Fuchs ist in erster Linie eine Übersetzerin und erst in zweiter Linie ein "Medium". Ich weiß nicht. Man betrachte mal folgendes konkrete Beispiel: Barks 3/1954: A special train is coming through with four million dollars in Gold! Fuchs 10/1954: Ein Sonderzug mit Uran im Werte von 200 Millionen kommt durch. Fuchs 7/1967: Ein Sonderzug mit Goldbarren im Werte von 100 Millionen kommt durch. Mich erinnert das nicht an Philologie, sondern an den Messprozess in der Physik. Bewegt sich das Photon durch den linken oder den rechten Spalt? Hat das Metall die Kernladungszahl 79 oder 92? Die verwendete Währung ist natürlich nur eine willkürliche Einheit. Ob es australische Dollar, castrolanische Rubleniks, Kronenkorken oder Kaurimuscheln sind, können wir nur vermuten. Deshalb sollte man das in erster Näherung ignorieren. Aber die Frage "Gold oder Uran" würden auch die kleinen grünen Männchen vom Planeten Diana problemlos verstehen. Man müsste nur mit dem Finger auf die entsprechenden Stellen im Periodensystem deuten. (Werden die Duckgeschichten eigentlich auch ins Dianische "übersetzt"?) Ich deute den Casus so: 1. Das Medium Barks erkennt Gold. 2. Das Medium Fuchs überprüft den Barksbericht und meint, es ist doch eher Uran. Dabei darf man natürlich nicht darauf vergessen, dass Frauenzimmer mehr vom Strümpfestricken verstehen als von harter Naturwissenschaft, was Fuchs in einer anderen Geschichte auch bereitwillig zugibt. 3. Das Medium Fuchs überprüft seine eigene "Übersetzung" noch einmal und erkennt doch auf Gold. Vielleicht hat hier wie so oft Günter Fuchs, der Düsentrieb aus Schwarzenbach, ein wenig mitgeholfen. Was ist Wahrheit? Ich glaube das Gold. Jedenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 %. Vermutlich fahren im Anaversum aber auch regelmäßig Sonderzüge mit Uran herum. Sonst hätte Fuchs die Alternative Uran gar nicht erst erwogen. Wenn man einen Text des genialen Mathematikers Nicolas Bourbaki von der Universität Nancago ins Deutsche oder Englische "übersetzt", dann ist die Natur dieser Arbeit hauptsächlich mathematisch und nicht philologisch.
26.08.2015, 08:11:21
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