Ich bin wohl weiß Gott nicht der erste, dem's auffällt: Im Piratengoldbericht hat das in der Karte "Rund um den Waldstein!" umrissene Gebiet eine verteufelte Ähnlichkeit mit der Gestalt des nordamerikanischen Erdteils in unsrer Welt!
Aber nicht nur mit Nordamerika in unsrer Welt, sondern auch mit dessen Gegenstück auf Stella Anatium, wie diese (und nicht nur diese) Ansicht des Entensterns zeigt:
Anzumerken ist: Während auf der Waldsteinkarte "Nordamerika" nach Süden hin auch Mexiko und Kuba "mitnimmt", endet es im Norden wie abgehackt genau dort, wo in unsrer Welt die gradlinige (oder nicht so gradlinige, siehe Klugscheißeranmerkung unten) Staatsgrenze zwischen den USA und Kanada verläuft.
Jetzt kann man sagen: Gewiß befindet sich auch auf Stella Anatium dort die Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada, und die Waldsteinkarte spiegelt das wider. Aber ich weiß nicht, ob es sonstige (Karten-)Belege dafür gibt, daß auch auf Stella Anatium an dieser Stelle eine solche Staatsgrenze verläuft. Und daß die Waldsteinkarte überhaupt Nordamerika zeigt, dahinter will ich ein dickes Fragezeichen setzen.
Aber gehen wir erst einmal davon aus: Die Waldsteinkarte zeigt Nordamerika. Das heißt, auf Stella Anatium befindet sich in der Mitte des gestrichelt eingezeichneten Rundwegs ein Erdraumgegenstand namens "Waldstein" – vermutlich ein Berg. Dieser hätte kein Gegenstück in unsrer Welt, im Herzen unsrer USA gibt es keinen "Waldstein" (ich verschwende gar keine Zeit, das auszugugeln, sondern behaupte das bauchwegs).
Ob Nordamerika oder nicht, bemerkenswert ist, daß der Waldstein selber auf der Karte gar nicht vermerkt ist – aus einer besonderen Sparsamkeit der Kartendarstellung? Weil man rund um den Waldstein reisen soll und nicht zu ihm und es drum überflüssig ist, seine Lage einzuzeichnen? Es bleibt merkwürdig.
Wenn das auf der Karte nun Nordamerika sein soll, eins verstört: Die Karte ist ein Werbegeschenk der Schlurfi-Wanderschuh GmbH, somit wohl eine Wanderkarte. Handelt es sich aber um eine Nordamerikadarstellung, lädt sie munter dazu ein, "rund um den Waldstein" mehrere tausend Kilometer zu erwandern, was wohl nur einem sehr eng begrenzten Kreis von Wanderwütigen Anreiz wäre. Freilich: Wer den Stachel im Bürzel spürt, der braucht vieleviele Wanderschuhe – und, so wohl die Rechnung der Kartenmacher, er greift zu den Wanderschuhen von Schlurfi.
Manches andre an der Karte trübt die Nordamerikavermutung. Als Halte sind vermerkt: "Wutzmühle", "Felsenlabyrinth", dazu einige Orte – vermutlich nicht Weltstädte. Wer Tausende Kilometer durch Amerika latscht, sieht auch auf Stella Anatium vielerlei Landschaften, Städte, Menschen- und Naturwunder. Auf einer solchen Wanderschaft wirken die acht auf der Karte vermerkten Punkte als "sehenswert" beliebig, ja lieblos herausgegriffen; auch ist ihre Lage auf der Karte gar nicht genau vermerkt.
Mir liegt drum eine andre Vermutung viel näher: Bei dem auf der Karte umrissenen Gebiet handelt es sich nicht um Nordamerika, sondern um einen viel enger bemessenen Bereich des Waldsteins höchstens von der Größe eines Landkreises (falls überhaupt). Aber sogleich erhebt sich die Frage: Warum gleichen die Umrisse dieses Waldsteingebiets so sehr denen des nordamerikanischen Erdteils?
Mein Einfall ist: Als irgendwelche Herren die Grenzen des Waldsteingebiets (Landkreis, Bezirk, vielleicht nur ein rein fremdenverkehrlich umrissenes Gebiet) festlegten, bildeten sie im kleinen bewußt die Grenzen des großen Erdteils nach. Warum? Weil sie's konnten. Der Sinn? Mit diesem Witz, diesem Streich schon auf dem Kartenbild einen Hingucker zu schaffen und Reiselustige zum Waldstein zu locken.
Ja, freilich! Man stelle sich vor, bei den Grenzen irgendeines Landkreises hier zeichneten Verschmitzte die Umrisse Deutschlands oder Europas nach. Auf jeder Karte fiele jedermanns Auge sofort darauf, jedermanns Blick bliebe an dieser Merkwürdigkeit haften, und jeder fragte, was dort denn sei, welche Bewandtnis es mit dieser Gegend habe.
Schlau, diese Waldsteiner.
Klugscheißeranmerkung: Unschärfe beherrscht die Welt! Unschärfe, Unschärfe, überall Unschärfe! Sieht man genau hin, ist nichts, wie's scheint. So auch mit der Staatsgrenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika. Eine schnurgrade Linie über eintausendzweihundert Meilen vom Wäldersee bis zum Stillen Meer? Nein, meine Herren! Dieser scheinbar schnurgrade Strich, er zickzackt!
Doch haben Briten und Amerikaner nicht Anfang des 19. Jahrhunderts festgelegt, der 49. Breitengrad bilde hier die Grenze? Ja, haben sie. Und Jahrzehnte später, in den 1870er Jahren, machten sie sich daran, die Grenze vor Ort tatsächlich zu vermessen und Grenzsteine zu verlegen. Über eintausendzweihundert Meilen drangen die von beiden Reichen gestellten Grenzzieher durch die Wildnis, vermaßen und verlegten – und was sie taten und daß sie's taten, dies Werk beeindruckt.
Aber eben, so genau und gewissenhaft sie vermaßen und verlegten, sie konnten – mit den Mitteln ihrer Zeit – die wirkliche Linie nicht so vollendet ziehen, wie die gedachte des 49. Breitengrades lief. Und so wich die Lage der Grenzsteine überall um Meter – mal weniger, mal mehr – von der gewollten, der gesollten Linie ab.
Aber beide Länder bebrieften und besiegelten später: Es gilt nicht eine gedachte Linie, es gelten die Grenzsteine, wie sie die Grenzvermesser in gemeinsamer Arbeit in die Landschaft gelegt haben! Und so zickzackt in Wahrheit die vermeintlich schnurgrade Grenze eintausendzweihundert Meilen entlang dem 49. Breitengrad. Glaubt Ihr's mir nicht? Seht's hier!
Klugscheißerei hoch zwei: Eine schnurgrade Linie ist die Grenze ja schon deswegen nicht, weil die Erde krumm ist wie eine Banane.
Klugscheißerei hoch drei: Schnurgrad ist die Grenze auch in andrer Hinsicht nicht. Stetig in eine Raumrichtung dringt die gedachte Grenzlinie nur nach "vorne". Aber da das Gelände nicht über Tausende von Kilometern und nicht mal über einen einzigen pfannkuchenflach verläuft, hebt und senkt sich der vom Wäldersee zum Weltmeer schießende Grenzpfeil in seinem Lauf; schnurgrad nur von "oben", auf dem Papier; doch ein Geschlängel, Gezick, Gezack im "Seitenschnitt".
Klugscheißerei hoch vier: Angeblich ist der 49. Breitengrad heute auch nicht mehr ganz dort, wo er vor zweihundert Jahren war. Von wegen irgendwas mit Drehgeschwindigkeit der Erde. Versteh' ich nicht ganz, aber wird schon so sein.